Detail_Casita_de_Barro_2023_08

Meine letzten Monate in Mexiko: Weitere Schritte im Bildungsprojekt und die Initiierung eines Schulgartens

14.08.2023 - Sandy Jotzer
„Wenn wir den Augenblick genießen, merken wir gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht.“

Für mich war es nicht nur ein Augenblick, sondern mehrere schöne und erlebnisreiche Monate, die wie im Fluge vergangen sind. Seit meinem letzten Bericht ist einiges passiert, von dem ich gerne noch berichten möchte. Zuletzt hatte ich von dem Umweltbildungsprojekt erzählt, dass wir in zwei vierten Klassen der Grundschule des Dorfes bis Mitte April durchgeführt hatten. Dies ist so gut gelaufen, dass wir im Juni wieder anknüpften und noch sechs weitere Stunden in der Schule umgesetzt haben. 

Dieses Mal habe ich die Klassen nicht mehr zusammen mit den Studentinnen der lokalen Universität umgesetzt (diese hatten ihren sozialen Dienst nämlich schon beendet), sondern mit einem neuen deutschen Kollegen. Ende März hatte ein Mitfreiwilliger meiner Entsendeorganisation, Malte, seine Einsatzstelle von einer Montessori-Schule zu uns ins Casita de Barro gewechselt. Zusammen haben wir die weiteren Stunden geplant und umsetzt, und zwar nach dem Vorhaben, einen kleinen Schulgarten zu gestalten. Aber bevor ich von dem Beginn des Baus eines Schulgartens berichte, möchte ich zunächst noch kleine Einblicke in die letzten Stunden der ersten Hälfte des Projektes geben, von denen ich im vorangegangenen Bericht noch nicht erzählt hatte:
Nach der kleinen Verkostungseinheit in der Schule stand endlich der Besuch meiner Einsatzstelle Casita de Barro an. Das Ziel des Besuches war es den Kindern zu zeigen, wie viele Ressourcen sie in ihrer Umgebung haben und Beispiele zu geben, wie sie diese effektiv und nachhaltig einsetzen können, um umweltbewusster zu Leben und so auch den eigenen Lebensraum zu schützen. Nach einer Führung über das Gelände, in der Manuel den Kindern die verschiedenen „Ökotechnologien“, die sich in Casita de Barro finden lassen, vorstellte, konnten sich die Kinder einen kleinen Vortrag über den Bau mit Lehm und Naturmaterialien anhören und aus dem lehmartigen Matsch ihre eigenen kleinen Figuren formen. Außerdem durften sie ihre eigenen Tortillas auf dem Lehmofen zubereiten, begleitet von einem Mini-Workshop zum Prozess des Maisanbaus. 

Die Kultivierung von Mais ist eine Jahrtausend alte Tradition und da ein wichtiger Teil der Arbeit von Casita de Barro die Erinnerung an und die Erhaltung von indigenem Wissen und die Auseinandersetzung und Verbindung mit den eigenen Wurzeln ist, wurde der Prozess zum Maisanbau mit Wörtern aus der indigenen Sprache „Nahuatl“ betrachtet. Außerdem hätten die Kinder die Möglichkeit gehabt, aus Heil- bzw. Arzneipflanzen ihre eigene Tinktur herzustellen. Tatsächlich entschieden sich aber alle für die anderen beiden Optionen, was wir zwar ein wenig Schade fanden, aber auch total in Ordnung war, da wir die Kinder gerne frei entscheiden lassen wollten, auf was sie Lust haben. Insgesamt war es ein gelungener Tag und es war schön zu sehen, wie viel Freude die Kinder bei den verschiedenen Aktivitäten hatten. 
Foto: Sandy Jotzer
Die letzte Stunde, die ich zusammen mit den Studentinnen gegeben habe, war eine kleine Wiederholungsstunde. Die Kinder haben in Gruppen oder alleine Präsentationen zu allen Klassen, die wir gemeinsam hatten, vorbereitet. Einige SchülerInnen sind richtig kreativ geworden und haben ein kleines „Casita de Barro“ – Modell gebastelt, oder Bienen-Masken, die sie während ihres Vortrags auf hatten. Von den Präsentationen ist auch ein kleines Video entstanden, das wir als kleine Erinnerung an die Eltern und Kinder geschickt haben.

Wie bereits erwähnt hatten wir nach einer kurzen Pause ab Juni wieder die Möglichkeit das Projekt weiterzuführen. Da auch die beiden Klassenlehrerinnen von der Idee eines kleinen Schulgartens sehr angetan waren, haben wir die folgenden Stunden alle unter dem Motto „wir planen und bauen unseren eigenen Schulgarten“ umgesetzt. 
Dabei wollten wir die Kinder möglichst an allen Prozessen, von der Planung bis zur Umsetzung, beteiligen. In der ersten Stunde, die Malte und ich zusammen gegeben haben, haben wir uns zum Beispiel zunächst mit der wichtigsten Grundlage eines Gartens, der Erde, beschäftigt, und danach durften die Kinder anhand von Beispielbildern ihre ersten eignen Skizzen eines möglichen Schulgartens zeichnen, so wie sie ihn sich vorstellen. Die Designs der Kinder haben Malte und ich uns danach genau angeschaut, die verschiedenen Ideen kombiniert und daraus die finale Skizze für den Garten entworfen. 

Für den praktischen Bau, sprich vor allem der Grabung der Löcher und die Vorbereitung der ersten Beete, haben wir auch die Eltern eingeladen, um uns zu unterstützen und tatsächlich sind einige Mütter und Väter gekommen und haben auch Materialien wie Blöcke für die Umrandung der Beete, Kompost und Mulch mitgebracht. 
In einer meiner Lieblingsstunden haben wir die mitgebrachten Blöcke alle zusammen mit natürlicher Farbe aus Mineralen bemalt. Hierfür hatten wir eine Freundin von Casita de Barro, Aby, eingeladen die den Kindern gezeigt hat, wie man aus einfachen Mineralien aus der Gegend Farbe herstellen kann. Zur Gestaltung der Blöcke gab sie den Kindern die Aufgabe, sich einen Wunsch für den Garten oder die Zukunft auszudenken, diesen in einem Symbol darzustellen und das Design dann auf die Blöcke zu übertragen. Die Beete sind nun also umrandet von guten Wünschen und einem enthusiastischen Wachstum der Pflanzen dürfte somit nichts mehr im Wege stehen. 

In unserer letzten Stunde mit den Kindern haben wir einen ersten Teil der Beete mit der ersten Komposterde des Schuleigenen Wurmkompostes gefüllt und die Kinder durften die ersten, zum Teil selbst mitgebrachten, Pflanzen pflanzen. 
Foto: Sandy Jotzer
Außerdem wurde zur Einweihung ein kleines Schild aufgestellt, das die Kinder zuvor selbst gestaltet hatten. Nach den Sommerferien wird das Projekt Schulgarten dann voraussichtlich von dem derzeitigen Praktikanten in Casita de Barro und den beiden neuen deutschen Freiwilligen mit ganz viel Unterstützung der beiden Klassenlehrerinnen weitergeführt und die ersten Gemüsesorten entsprechend der Jahreszeit gepflanzt.
Foto: Sandy Jotzer
Die Arbeit mit den Kindern in der Schule war natürlich nur ein Teil meiner Arbeit in Casita de Barro, aber für mich einer der schönsten und prägendsten, weshalb ich ihm in meinen Berichten einen besonderen Stellenwert gegeben wollte. 

Zusätzlich zu den schönen Momenten mit den Kindern konnte ich aus der Planung und Umsetzung der Stunden auch einiges mitnehmen. Vor allem die Arbeit in einem interkulturellen Team mit den Studentinnen im Frühjahr hat mir vor Augen geführt, wie wichtig Respekt, gute Kommunikation und Absprachen für das Gelingen eines Vorhabens oder erfolgreicher Stunden sind. Und das eine gute Vorbereitung wie immer das A und O ist.

In der Planung und Umsetzung der Stunden war es uns wichtig, keinen klassischen Frontalunterricht zu geben, sondern viel mehr praktisch zu arbeiten und in einen Dialog mit den Kindern zu treten. 
Casita de Barro arbeitet nach einer Philosophie, in der es keine richtige Lehrer-Schüler Beziehung gibt, sondern es viel mehr um ein miteinander und voneinander Lernen geht. Dies entspricht der Bildungstheorie des brasilianischen Pädagogen Paulo Freire, bekannt unter der Bezeichnung „Pädagogik der Autonomie“, die wir als Inspiration für die Planung der Stunden verwendeten. Ein Zitat aus einem Buch des Pädagogen lautet „Lehren [heißt nicht], Wissen weiterzugeben, sondern Möglichkeiten zu schaffen, Wissen zu erzeugen oder zu bilden. […] Wer lehrt, lernt beim Lehren, und wer lernt, lehrt beim Lernen. Das Lernen kam vor dem Lehren oder, in anderen Worten, das Lehren löste sich in der existentiellen Erfahrung des Lernens auf.“ (Freire, 1996) (https://blog.hapke.de/higher-education/was-ist-bildung-fuer-paulo-freire/).

Neben dem Raumschaffen zum gemeinsamen Lernen war ein weiterer grundlegender Aspekt unserer Arbeit in der Schule, dass wir den Kindern, Lehrerinnen und der Schule nichts aufdrängen, sondern lediglich einen kleinen Anstoß geben wollten, auf dem wir gemeinsam aufbauen können. Es bringt ja nicht viel, Klassen zur Umweltbildung zu geben und einen Schulgarten umsetzen zu wollen, wenn von der anderen Seite aus gar kein oder nur wenig Interesse besteht. Und es war schön zu erleben, wie viel Resonanz es seitens der beiden Klassenlehrerinnen aber auch der Eltern und natürlich der Kinder gab und dass die Lehrerinnen nicht nur einen unterstützenden, sondern auch einen proaktiven Part eingenommen haben, zum Beispiel wenn es um die Kommunikation mit den Eltern und Organisation von Materialien ging. In der Planung des Schulgartens, aber auch generell der Stunden, war es uns wichtig, flexibel zu sein und die Kinder und ihre Wünsche stets mit einzubeziehen, denn bereits im Studium habe ich gelernt, das Partizipation in allen Schritten und Prozessen der wichtigste Aspekt für das Gelingen eines Projektes ist. Dies kann ich nach meiner Arbeit und meinen Erfahrungen in Casita de Barro bestätigen und unterstreichen.
Ich hätte noch tausend andere Dinge über meine letzten Monate zu berichten, über meine weiteren Aktivitäten in Casita de Barro, meine Freizeiterlebnisse und meine Reisen, aber das würde den Rahmen ein wenig sprengen. 

Hier trotzdem einige Highlights als Kurzzusammenfassung: 

Im April habe ich zusammen mit zwei Freunden, die mich aus Deutschland besucht haben, die Yucatán-Halbinsel erkundet. Zusammen haben wir Maya-Ruinen besichtigt, waren bei Tanzabenden, in Cenoten schwimmen, haben Meeresleuchten gesehen und am Strand entspannt, Wanderungen gemacht und das ein oder andere Mal noch unbekannte Köstlichkeiten der mexikanischen Küche probiert. Auch mein Bruder hat mich im Juli besucht und mit ihm durfte ich die beiden kulturreichen Bundesstaaten Oaxaca und Chiapas im Süden Mexikos erkunden.
Auf der Arbeit durfte ich in der Zeit, in der keinen Unterricht in der Schule gegeben habe, an mehreren Samstagen Kochtreffen mit begleiten, die wir in dem Dorf zusammen mit interessierten Frauen umgesetzt haben. Hierbei ging es um den Austausch und die Testung von gesunden Rezepten zur Verwertung überschüssiger Lebensmittel wie Vollkornnudeln, Linsen und Vollkornmehl, die in der Küche für Schule und Kindergarten im Überfluss vorhanden waren, aber aufgrund mangelnder Rezepte noch nicht verwendet wurden. 

Ein weiterer Workshop, der in Casita de Barro im Juni angeboten wurde und den ich mit begleitet habe, war ein Workshop zur Reproduktion von Mikroorganismen für alle interessierten Landwirte des Dorfes und Freunde von Casita de Barro. Daran hat sich als Fortführung noch ein Workshop zur Herstellung von Bokashi angeschossen. 
Foto: Sandy Jotzer
Ein Erlebnis, das mir aus den letzten Monaten besonders im Kopf geblieben ist, war der Tag der Landwirte, der in dem Dorf gemeinsam auf dem Hügel, auf dem wir auch das Aufforstungsprojekt umsetzen, gefeiert wurde. 
Foto: Sandy Jotzer
Die Landwirte sind mit bunt geschmückten Traktoren in einem kleinen Umzug auf den Hügel gefahren, es wurden Süßigkeiten geschmissen, Reden gehalten, ein traditioneller Tanz (mit Stieren aus Pappmaché auf dem Kopf) zum Besten gegeben und vor allem: Es gab für alle Biere umsonst und eine Familie, die Eiscreme herstellt, hat allen kostenlos Eis angeboten. Eine weitere Familie hat für alle helfenden Hände, die bis zum Schluss geblieben sind, reichlich belegte Sandwiches zur Stärkung verteilt. Wo findet man heute noch so viel Freude für das Geben, Schenken und Teilen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten?  

Mit dieser Frage beende ich diesen Bericht. Alles weitere und vor allem auch meine Reflektionen zu meiner Zeit in Casita de Barro und insgesamt in Mexiko werde ich noch in einem letzten Bericht verpacken, der auch auf der Website der PIENSA!-Stiftung veröffentlicht wird.
Liebe Grüße und bis zu meinem letzten Bericht,

Sandy
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