Ein kleiner Rückblick: Was nehme ich mit aus meiner Zeit in der indigenen Community in Ecuador mit?
31.07.2025
- Tonja Reppegather
Hallo liebe Leserinnen und Leser, kurz vor dem Ende meines Freiwilligendienstes melde ich mich noch einmal bei euch. Nachdem ich in meinem ersten Bericht etwas über den Schulalltag berichtet habe, der sowohl das Leben der Kinder, als auch das meine hier dominiert hat, widme ich mich zum Abschluss meiner Zeit in Ecuador dem Leben und meinen Erfahrungen in der indigenen Kichwa-Community.
Das Thema ist in Gesprächen mit der PIENSA!-Stiftung entstanden und ich wurde gebeten, doch mal darüber zu schreiben, wie die indigenen Dorfgemeinschaften, welche ich in meinem Projekt kennenlernen konnte, so leben. Fragen waren zum Beispiel: Ist die westliche Lebensweise für sie erstrebenswert? Oder sind die Menschen mit ihrem teilweise sehr einfachen Leben zufrieden? Und wie nachhaltig lebt die Dorfgemeinschaft in Bezug auf ihren Konsum? Echt schwierige Fragen, wie ihr sehen werdet!
Guayama San Pedro ist ein kleines Dorf, bestehend aus einer Straße, einfach gebauten Häusern und vielen Feldern und Meerschweinchen. Die Menschen gehören der indigenen Kichwa-Bevölkerung Ecuadors an. In Ecuador leben über 200 unterschiedliche indigene Bevölkerungsgruppen, die 13% der Gesamtbevölkerung ausmachen. Neben der indigenen Bevölkerung gibt es auch noch die „mestizos“, also die "Mischlinge" und die aus rein spanischer Abstammung kommende weiße Bevölkerungsgruppe.
Damals, als die Inka und später die Spanier Ecuador eroberten wurden die indigenen Gruppen in die karge Andenlandschaft hoch und in den bis dahin kaum bewohnten Amazonas gedrängt. Allein schon wegen der extremen klimatischen Bedingungen, eisige Kälte und stechende Sonne im Wechsel und wegen der unfruchtbaren, abgelegenen Landschaft sind die indigenen Communities benachteiligt.
Hinzu kommen ethnisch bedingte Ausgrenzungen und Benachteiligungen, die bis heute sehr präsent sind. Auch in der Bildung herrschen enorme Ungerechtigkeiten, sodass man gar nicht von gleichen Chancen der Bevölkerung innerhalb des Landes sprechen kann.
Viele verlassen ihr Dorf kaum bis nie. Wenn, dann zum Einkaufen, wobei sich die meisten auch selbst versorgen, mit den angebauten Lebensmitteln und ein wenig Fleisch. Viele heiraten eine andere Person aus dem gleichen Dorf, sodass meine Schüler dieselben Nachnamen oder eine Kombination aus den drei, vier vertretenen Namen tragen.
Durch das lebenslange Dorfleben empfinden viele die trubelige Stadt als überfordernd und unangenehm. Allerdings tut sich da auch etwas in der neuen Generation und viele junge Menschen ziehen in die Stadt, sei es zum Studieren oder auf der Suche nach Arbeit. Der Mangel an Arbeit ist ein zentrales Problem, sodass Arbeit allgemein im Leben der Menschen einen ganz anderen Stellenwert einnimmt, als bei einem durchschnittlichen Europäer. So kann Arbeit die größte Sorge und zugleich das größte Glück bedeuten, vor allem ist Arbeit aber Einnahmequelle und überlebenswichtig für die Existenz der ganzen Familie.
An sich nehmen - ohne Zweifel - die meisten die indigene Bevölkerung als schüchtern, zurückhaltend, ja vielleicht sogar als abweisend wahr. Viele sind von dieser sehr anderen und manchmal auch sehr harten Lebensrealität geprägt und fühlen sich innenpolitisch übergangen, was sich aktuell zu Zeiten der Wahlen besonders bemerkbar macht.
Das äußert sich auch im Kontakt zu anderen Ecuadorianern und Ausländern. Trotzdem verbergen sich dahinter Menschen mit einem großen Herz und oftmals auch viel Freude am Leben. Bei den indigenen Festen und Feierlichkeiten geht es sehr ausgelassen und großzügig einher und der Alltag wird gern mit vielen kleinen Witzen gespickt, die mir leider auf Grund der kulturellen und auch sprachlichen Barriere oft ein Rätsel bleiben.
Klar sind aber auch in den abgelegenen Dörfern die Einflüsse aus dem globalen Norden bemerkbar, in Ecuador vor allem den USA. In dieser Hinsicht unterscheiden sich dann doch die sehr traditionellen indigenen Gemeinden, da diese trotz dieses Einflusses aus dem globalen Norden ihren Werten treu bleiben.
In den großen Städten kann man ausschließlich amerikanische Models, Modeeinflüsse und Trends beobachten. Oftmals scheint in den Köpfen der Menschen hier - aber auch umgekehrt - ein sehr klischeehaftes Bild des reichen, privilegierten Europäers oder US-Amerikaners zu herrschen.
Nach den Monaten, in denen ich hier in Ecuador gelebt habe, nehme ich die Versuche, auf dem Lande den westlichen Trends zu folgen, als gescheitert wahr. Viele der indigenen Menschen haben kein Gefühl für den Umgang mit Geld und Materialien erlernt und werden so leider nicht selten ausgebeutet und über den Tisch gezogen. Das ganze Thema ist allerdings so komplex und bedarf wahrscheinlich einer so vielschichtigen Betrachtungsweise, dass ich die Fragen nur schwer beantworten kann und vor allem der indigenen Bevölkerung selber niemals wirklich gerecht werden könnte. Die Einblicke, die ich ausgewählt habe, sind nur vereinzelte Punkte, die da mit reinspielen und sicher auch nur eine Wahrnehmung von vielen.
Was ich allerdings festhalten möchte ist, dass ich persönlich das Gefühl habe, sehr viel von der Kichwa-Gemeinschaft lernen zu können. Ihr Umgang mit der Natur und anderen Menschen ist sehr inspirierend. Gleichzeitig ist es mir wichtig, in einigen Punkte meinen eigenen Werten und Traditionen treu zu bleiben. In jedem Fall erfährt die Kichwa-Bevölkerung eine große Ungerechtigkeit, und in meinem Schulalltag mit den Kindern hat mich in erster Linie die ungerechte Bildungssituation und später die Chancenungleichheit traurig gemacht.
Für alle, die tiefer einsteigen wollen, empfehle ich den Blog, den ich während meines Freiwilligendienstes geschrieben habe. Ich habe da auch Interviews mit verschiedenen Menschen geführt, mit denen ich im Alltag viel zu tun hatte. Ich denke das beantwortet viele der Fragen besser als ich es kann - und gibt Antworten aus erster Hand. Danke an die PIENSA!-Stiftung, dafür, dass ihr meinen Freiwilligendienst unterstützt habt und nun auch zu meinem Blog verlinkt: Weltwärts in Ecuador
Liebe Grüße aus meinen letzten Tagen in Ecuador, Tonja