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"Casita de Barro": Wie lässt sich ein nachhaltiges Leben umsetzten und gleichzeitig die lokale Wirtschaft stärken?

22.11.2022 - Sandy Jotzer
Hola! Mein Name ist Sandy, ich bin 24 Jahre alt und habe in diesem Jahr meinen Bachelor in Gesundheitswissenschaften in Hamburg beendet. Da ich nach meinem Bachelor unbedingt noch einmal raus in die weite Welt wollte und dabei gleichzeitig etwas Sinnvolles tun wollte, habe ich mich im Rahmen eines weltwärts Freiwilligendienstes des DRK-Landesverbandes Badisches Rotes Kreuz e.V. nach Mexiko begeben.

Während ich diesen Bericht schreibe, bin ich bereits seit über zwei Monaten hier und arbeite in der Organisation „Casita de Barro“, die sich neuen, nachhaltigen Lebensmodellen in dem Dorf San Jerónimo Tecuanipan widmet.
Foto: Sandy Jotzer
San Jerónimo Tecuanipan, abgekürzt Tecuanipan, liegt in dem Staat Puebla, hat ca. 6.000 EinwohnerInnen und ist ein Dorf, das stark von Marginalisierung und Abwanderung betroffen ist. Im Jahr 2008 entschieden sich Manuel Palma Barbosa und Ina Vanooteghem, die Gründer der Organisation Casita de Barro, dazu, sich in diesem Dorf niederzulassen. Ihr Ziel ist es, die DorfbewohnerInnen durch partizipative Bildungsmaßnahmen dabei zu unterstützen ihre natürlichen Ressourcen zu erhalten, das indigene Wissen wiederzubeleben und alternative nachhaltige Bewirtschaftungsmodelle auszuprobieren, um so ihre Lebenssituation positiv zu beeinflussen. 

Gemeinsam bauten Manuel und Ina auf einem Grundstück am Rande des Dorfes ein Haus aus Lehm, dass die DorfbewohnerInnen „Casita de Barro“ (= „Lehmhäuschen“) tauften. Die beiden zogen in das Bauwerk ein und begannen ihre Suche nach nachhaltigen Lebens- und Anbauweisen, die sich auch von den LandwirtInnen vor Ort umsetzen lassen würden.
In den letzten Jahren haben sich sowohl ihr Stück Land als auch ihre weiteren Tätigkeiten kontinuierlich fortentwickelt und es sind die verschiedensten Projekte und Kooperationen entstanden, von denen ich während meines Freiwilligendienstes ein Teil sein darf. Im Folgenden möchte ich Ihnen gerne einen Einblick in die verschiedenen Tätigkeiten von Casita de Barro und meinen ersten Erfahrungen in meinem Freiwilligendienst geben. 

Derzeit bin ich überwiegend in dem Bereich des ökologischen Gemüse- und Obstanbaus beschäftigt, der als Referenz für die LandwirtInnen des Dorfes dienen soll. Im Casita de Barro gibt es vier verschiedene Gärten mit Beeten, auf denen alles Mögliche angepflanzt wird: Kartoffeln, Süßkartoffeln, Zwiebeln, Tomaten, Rote Beete, Kakteen, Beeren, und vieles, vieles mehr. Alles ohne künstliche Chemikalien, sondern mit natürlichen Hilfs- und Düngemitteln, die wir im Casita de Barro aus Zutaten wie Kuhmist, Melasse, Asche und Mineralien selbst herstellen. 

So haben wir im letzten Monat zum Beispiel in einem 20-tägigen Fermentierungsprozess mit Hilfe von sogenannten „Effektiven Mikroorganismen“ aus Kuhmist „Bokashi“ hergestellt, einen nutritiven, organischen Dünger. Im nächsten Jahr wird auf dem Grundstück außerdem ein Labor errichtet, in dem zukünftig biologische Pflanzenschutzmittel hergestellt werden sollen. 
Foto: Sandy Jotzer
Neben der Pflege der Beete und dem Anpflanzen von verschiedenen Gemüsesorten habe ich in den letzten Wochen auch einige Male in der Biokonstruktion geholfen. Auf dem Gelände des Casita de Barro und in einem Gemeinschaftsgarten, der sich neben dem Casita de Barro befindet, werden derzeit zwei neue Komposttoiletten gebaut, mit natürlichen, umweltfreundlichen Materialien. 
Foto: Sandy Jotzer
Zum Bau werden Steine, Stroh, Lehm und Bambus verwendet. Um für Licht in den Toiletten zu sorgen, werden gesäuberte, alte Glasflaschen in die Wände eingebaut. An den Toilettenhäuschen sollen Regenrinnen angebracht werden, die später das Regenwasser in einen Kanister leiten und über den Kanister in ein Waschbecken, so dass das Regenwasser zum Händewaschen verwendet werden kann. 

Ina und Manuel sind aber nicht nur auf ihrem eigenen Grundstück tätig, sondern haben verschiedene Projekte gemeinsam mit den BewohnerInnen von San Jerónimo Tecuanipan und Kooperationspartnern initiiert. Vor allem der Bereich Umweltbildung hat für sie einen hohen Stellenwert. Zusammen mit Lehramtsstudentinnen einer Universität in Puebla setzt das Casita de Barro derzeit ein Umweltbildungsprojekt für Schulkinder um.  
Schon in meinem ersten Monat im Casita habe ich an den Meetings zur Planung des Projektes teilnehmen dürfen und derzeit ist das Projekt in vollem Gange. Einmal wöchentlich gehen die Studentinnen in Zweier- oder Dreiergruppen in die 5. und 6. Klassen der Schule des Dorfes Tecuanipan und erarbeiten gemeinsam mit den SchülerInnen umweltrelevante Themen. Auf dem Programm stehen zum Beispiel die Auseinandersetzung und Erkundung der eigenen Wurzeln, der Kultur und dem eigenen Sein (Talente, Fähigkeiten, etc.), sowie die eigene Beziehung zur Umwelt und Erde. Das Bewusstsein für regionale Pflanzen und Regionalität (was aus meinem alltäglichen Leben stammt eigentlich aus Tecuanipan und was nicht?) soll gestärkt werden und es wird sich mit der Vergangenheit von Tecuanipan im Vergleich zur Gegenwart auseinandergesetzt (Wie sahen Tecuanipan und seine Umgebung früher aus im Vergleich zu heute? Was hat sich alles verändert?). Insgesamt soll das Verantwortungsbewusstsein und der Respekt im Umgang mit der Umwelt erhöht und zusammen Probleme sowie Chancen und Lösungsmöglichkeiten erarbeitet werden. Mittlerweile war ich vier Mal bei den Stunden der Lehramtsstudentinnen dabei. Der letzte Termin fand nicht in der Schule statt, sondern wir haben uns gemeinsam zum Laden der Kooperation "SanJe" begeben. Die Kooperation SanJe ist eine Kooperation von verschiedenen LandwirtInnen aus San Jerónimo Tecuanipan, die sich mit der Unterstützung von Casita de Barro zusammengetan haben und ihre verschiedenen Produkte gemeinsam unter dem Namen der Kooperation verkaufen.
Dort haben Renato und Rosalba, zwei Mitglieder der Kooperation, den Kindern erklärt, wie eine Kooperation funktioniert, wo die Produkte herstammen, die sie verkaufen, und wie sie angebaut werden. Rosalba hat den Kindern ihren Garten, ihre Kuh und ihre zwei Schafe gezeigt und, besonders interessant, ihren "Biodigestor": Die Gülle, die ihre Kuh ausscheidet, verwendet Rosalba, um daraus Biogas herzustellen, das sie in ihr Haus zum Herd weiterleitet, um damit zu kochen. In dem Prozess wird die Gülle mit Hilfe von Bakterien und dem Ausschluss von Sauerstoff vergärt und so zu Biogas. Das hatte ich in einem Privathaushalt bisher noch nie irgendwo so gesehen, wobei die Kosten und der Arbeitsaufwand zur Installation im Vergleich zum Nutzen wirklich gering sind. Für mich auf jeden Fall sehr eindrucksvoll und da es im Anschluss Popcorn für alle gab, das gemeinsam auf dem Biogasherd gemacht wurde, ist es bestimmt auch bei den Kindern im Kopf geblieben. 
Foto: Sandy Jotzer
Eine weitere Form der Umweltbildung, die das Casita de Barro anbietet, sind Wanderungen für Schulklassen am Wochenende. Auch diese durfte ich im letzten Monat einmal begleiten.
Foto: Sandy Jotzer
Für die Wanderung haben die SchülerInnen verschiedene Fragen erhalten, mit denen sie sich auf dem Weg beschäftigen sollten. Die Fragen bezogen sich auf die Flüsse und Gewässer der Umgebung, darunter zum Beispiel die beiden Fragen "Welche Bedeutung und welche Ursachen hat die Verschlechterung der Umweltbedingungen in den Gewässern?" und "Wie wirken sich diese Ursachen auf die Gemeinden aus, die sich in der Umgebung oder in den Ausläufern des Popocatéptl befinden?". 

Das Ziel der Wanderung war ein Berg, der eine wunderschöne Aussicht auf den Popocatéptl bietet. Hier haben die Kinder in Gruppen jeweils eine Agave gepflanzt. Nach der Rückkehr ins Casita de Barro gab es noch eine kleine Diskussion über die Erlebnisse und die Erkenntnisse der Wanderung.

Zusätzlich zur Arbeit in dem Bereich der Umweltbildung versuchen Ina und Manuel neue Wege zum Ankurbeln der Wirtschaft des Dorfes zu finden. Dazu zählt auch ein Öko-Tourismus Projekt, das Casita de Barro angestoßen hat und von den DorfbewohnerInnen möglichst eigenständig und in Eigenleistung umgesetzt werden soll. Hierfür haben bereits zwei Treffen zusammen mit den DorfbewohnerInnen stattgefunden, wobei ich das zweite Treffen miterleben durfte. Über 30 der DorfbewohnerInnen sind zu der Veranstaltung erschienen. 
Nach einer kurzen Einführung und einem einleitenden Vortrag von Manuel zur Erklärung der Thematik und Vermittlung der Ziele des Tages, wurden in Gruppen Ideen und Überlegungen zu drei verschiedenen Thematiken gesammelt: Kultur, Gastronomie und Natur und Tiere, um die Potentiale des Dorfes als Ort für TouristInnen herauszuarbeiten. Die BewohnerInnen hatten sich angeregt an dem Brainstorming beteiligt. Nach einer Zusammentragung aller Ideen, Bedenken, Problemen und Chancen hat jede Gruppe ihre Ergebnisse vor den anderen Teilnehmenden präsentiert. In großer Runde wurden abschließend die nächsten Schritte definiert. Das Projekt steht noch am Anfang und in den nächsten Phasen sollen zunächst Komitees gebildet werden, die die Verantwortung für verschiedene Aufgabengebiete übernehmen werden. Das Dorf hat aufgrund seiner Lage in wunderschöner Natur, der Nähe zum großen Vulkan Popocatépetl, sowie der Fülle an Kultur, Tradition und auch traditioneller Küche das Potential für Tourismus.
Foto: Sandy Jotzer
Weitere Projekte, die zurzeit in Planung sind, sind ein Aufforstungsprojekt auf einem nahegelegenen Hügel, an dem die Familien in Tecuanipan beteiligt werden sollen, eine Frauengruppe für Kunsthandwerk, verknüpft mit dem Tourismusprojekt, sowie ein Schulgarten, um gemeinsam mit den Kindern zu gärtnern.

Ich werde mich in den kommenden Monaten vermehrt dem Bereich Umweltbildung widmen und darf auch mein eigenes, kleines Projekt planen und umsetzen. Hierbei habe ich in Bezug auf die Zielgruppe und Thematik freien Entscheidungsraum und kann so meine eigenen Ideen einbringen und umsetzen. Ich freue mich darauf, Ihnen in meinen nächsten Berichten auch von meinen Planungen und Erlebnissen zu meinem eigenen Projekt erzählen zu können.
 
Für Fragen zu der Organisation, den Projekten oder meinen Erfahrungen stehe ich gerne zur Verfügung und bin unter folgender E-Mailaddresse zu erreichen: sandy.jotzer@web.de

Ich sende herzliche Grüße aus Mexiko. Bis zum nächsten Bericht!

Sandy Jotzer
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