Detail_2002

Halbzeit! - Zwischenseminar der ijgd-Freiwilligen in Chisinau, Moldawien   

Yerevan, Februar 2020 - Inken Wilms
Halbzeit! Unfassbar, wie schnell ein halbes Jahr vorbeigehen kann. Genauso unfassbar, dass jeder Tag, der vergeht, das Ende meines Freiwilligendienstes näher bringt. Aber daran möchte ich im Moment gar nicht denken, sondern eher an die spannenden und ereignisreichen Monate, die noch vor mir liegen.
Der Februar ist ja sowieso schon ein kurzer Monat (wenn auch nur um ein paar Tage), aber dieses Jahr ist er besonders schnell vorbei gewesen. Das liegt vermutlich daran, dass ich nur zehn Tage auf der Arbeit verbracht habe und die restliche Zeit nach Moldawien und in die Ukraine gereist bin – aber dazu später mehr. 

Auch wenn ich nur ein paar Tage diesen Monat gearbeitet habe, waren diese doch einige der produktivsten Tage, würde ich behaupten. Ich wollte vor meiner Reise nämlich die größten und wichtigsten Aufgaben erledigen und mit einem entspannten Gefühl meinen Urlaub antreten. Somit habe ich die ersten Tage des Februars damit verbracht, verschiedene Präsentationen und Unterrichtseinheiten auf Englisch vorzubereiten, die die französischen Freiwilligen, die im Sommer für zwei Wochen bei ATP mitarbeiten werden, mit Kindern aus dem ganzen Land abhalten können. Hierfür wurde ein spezielles Sommerlager geplant, an dem Kinder aus verschiedenen Umwelt-AGs teilnehmen können.

Das Programm besteht aus Vorträgen über Ökosysteme, Wasserverschmutzung und Ressourcenschonung von den Trainern von ATP sowie Lerneinheiten auf Englisch von den französischen Freiwilligen. Diese Einheiten bauen auf den Vorträgen der Trainer auf und haben das Ziel, den Kindern die wichtigsten englischen Vokabeln rund um das Thema Umwelt und Umweltschutz beizubringen.
Fotos und Abbildungen (auf dieser Seite): Inken Wilms
In Armenien spricht nahezu jeder fließend Armenisch und Russisch – als ehemaliger Teil der Sowjetunion sind die meisten Einwohner quasi zweisprachig aufgewachsen und haben Russisch von früh auf in der Schule gelernt. Englischunterricht hingegen wurde erst vor einigen Jahren in den Lehrplan eingeführt, ist jedoch noch immer kein verpflichtendes Schulfach. Um Schülerinnen und Schüler dennoch dazu zu motivieren, sich bestenfalls nicht nur in Armenien sondern auch außerhalb für Umweltschutz zu betätigen, hat ATP beschlossen, nun immer mehr Einheiten und auch Infomaterialien in Englisch zu gestalten. Das bevorstehende Sommercamp gilt als Auftakt dafür.
Wie bereits gesagt, habe ich dafür Präsentationen erstellt, die die wichtigsten Informationen über ökologische Themen und Probleme in einfachen englischen Sätzen erklären und von vielen Bildern unterstützt werden.

Das war schon eine Herausforderung, denn sowohl die französischen Freiwilligen als auch die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen sprechen nicht wirklich gut Englisch, lassen sich aber auch nicht in nur ein Level einstufen. Mir wurde gesagt, dass einige wohl schon sehr erfahren sind und seit einigen Jahren Englischunterricht haben, während andere noch gar nichts können - da ein gutes Mittelmaß für eine Präsentation zu finden und eine Auswahl an Vokabeln zu treffen, die für grundlegende Kenntnisse über Ökosysteme und Umwelt von Nöten, aber gleichzeitig nicht zu anspruchsvoll sind, war schon schwierig.

In der Zeit meiner Abwesenheit wurden die Präsentationen von meinen Kolleginnen und Kollegen überprüft und an die französischen Freiwilligen geschickt. Wenn ich wieder zur Arbeit komme, werde ich sie wohl noch ein paar Mal überarbeiten. Ansonsten weiß ich noch nicht genau, was meine Aufgaben für die nächsten Wochen sein werden – da das Wetter inzwischen sehr frühlingshaft geworden ist, hoffe ich, dass ich bald wieder die Möglichkeit habe, an Pflanzungen teilzunehmen und Baumschulen zu besuchen.
Ansonsten habe ich zu Beginn des Monats zum ersten Mal meinen Kollegen zu einer Schule begleitet. Er hatte ein Gespräch mit der Direktorin über die Einführung einer Umwelt-AG, für die ATP Materialien zur Verfügung stellt und zu Beginn regelmäßig Trainer an die Schule schickt, um ein paar einführende Unterrichtseinheiten mit den Schülerinnen und Schülern durchzuführen. Danach liegt die Verantwortung in der Hand einer Lehrerin oder eines Lehrers, die aber weiterhin mit Materialien zur Vorbereitung und Durchführung verschiedener Einheiten unterstützt werden.

ATP ist zwar keine kleine Organisation (insgesamt 88 fest angestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den USA und Armenien), die Abteilung für Umweltbildung ist mit fünf Trainerinnen und Trainern jedoch vergleichsweise klein. Da ATP jedoch immer weiter wächst und die Nachfrage nach ökologischen Projekten wie Pflanzungen oder Workshops für Schulen landesweit steigt, besteht einfach nicht die Möglichkeit, über einen längeren Zeitraum regelmäßig einen Trainer an jede Schule mit einer Umwelt-AG zu schicken.

Wie viel Arbeit wirklich in dem ganzen Projekt getan wird, wird mir immer wieder bewusst, wenn meine Kollegen mir für meine Hilfe danken. Auch wenn ich meistens eher kleine Aufgaben ausführe, sind sie sehr dankbar, da diese sonst einfach unter den Tisch fallen würden, weil niemand anderes die Zeit hat, sich darum zu kümmern. Hierzu zählt beispielsweise die Erstellung von verschiedenen Infoplakaten, von denen ich ja schon in meinen vorherigen Blogeinträgen berichtet hatte. Die meisten dieser Plakate habe ich vor meinem Urlaub fertiggestellt und wurden bereits bei einer Druckerei in Auftrag gegeben.
Der Grund dafür, dass ich diesen Monat nicht viel gearbeitet habe, war ein Seminar von meiner deutschen Organisation (ijgd Bonn). Zu meinem Freiwilligendienst gehört nämlich nicht nur die Zeit, die ich im Ausland verbringe, sondern auch ein Vorbereitungs-, Zwischen- und Rückkehrseminar, an dem alle Freiwilligen, die in diesem Jahr nach Osteuropa gehen, teilnehmen.
Dieses Zwischenseminar findet jedes Jahr in einem der Gastländer statt und war dieses Jahr in Chisinau, der Hauptstadt Moldawiens. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass es nicht in Armenien statt gefunden hat, da ich so die Chance hatte, ein weiteres, eher untypisches Land zu sehen. So machten wir uns (wir sind mit zehn Freiwilligen in Armenien und sind zu neunt zusammen gereist) einen Tag vor Valentinstag auf nach Kiev, da es keine Direktflüge von Yerevan nach Chisinau gibt. Wir hatten uns dazu entschlossen, einen Nachtbus von Kiev nach Chisinau zu nehmen, um einen zweiten (Kurzstrecken)Flug zu vermeiden und konnten somit noch einen Tag in Kiev verbringen.

Schon seit dem zehntägigen Vorbereitungsseminar im August hatten wir uns alle auf das Zwischenseminar gefreut, da wir uns in dieser Zeit einfach super gut verstanden und angefreundet hatten. Ich habe mich wirklich selten von Anfang an so gut mit einer Gruppe eigentlich komplett fremder Menschen verstanden, aber da wir alle über viele Dinge die gleichen Ansichten haben und auch sonst echt auf einer Wellenlänge sind, haben wir uns vom ersten Tag an als richtig tolle Gruppe zusammengefunden. Das Zwischenseminar war ähnlich gut und es war super schön, alle anderen Freiwilligen wiederzusehen und vorallem die Veränderungen in ihnen zu sehen. Eine Woche lang konnten wir uns über unsere bisherigen Erfahrungen austauschen, Fotos zeigen, Probleme ansprechen und Ziele und Erwartungen für die zweite Hälfte unseres Freiwilligendienstes festsetzen. 
Außerdem sollten wir alle einen Vortrag über ein gesellschaftliches Problem bzw. Thema unseres Gastlandes halten (durch die Arbeit in meinem Projekt hat sich das Thema “Umweltverschmutzung und Maßnahmen zum Umweltschutz in Armenien” ganz gut angeboten). Dadurch haben wir alle einen Einblick in die aktuelle gesellschaftliche Lage der verschiedenen Gastländer (Armenien, Kirgistan, Lettland, Moldawien und Ukraine) bekommen und festgestellt, dass sich die Länder zwar schon unterscheiden, viele Aspekte sich jedoch vom Grundgedanken ähneln, wie beispielsweise die immer noch fest verankerten Geschlechterrollen, die hohe Bedeutung von Religion und der ausgeprägte Patriotismus. Auch die Unterschiede im Entwicklungsgrad der verschiedenen Länder zu vergleichen, war super interessant, denn alle Länder waren einmal Teil der Sowjetunion und sind ungefähr zur gleichen Zeit unabhängig geworden, haben sich dennoch unterschiedlich schnell und vor allem in verschiedene Richtungen entwickelt. 

Ich fand die Beiträge und unsere anschließenden Diskussionen wirklich unheimlich spannend, da man in Deutschland eigentlich von keinem der Gastländer wirklich etwas mitbekommt und weder über die aktuelle politische Lage noch über die Geschichte wirklich Bescheid weiß. Ich könnte und würde da noch ewig weiter drüber schreiben, das würde aber den Rahmen dieses Blogs sprengen und ist außerdem auch nicht wirklich das Thema (dennoch biete ich jedem an, der Interesse an dem Thema oder Fragen hat, mir eine Mail zu schreiben: inken-2001@gmx.de). In einem Punkt waren wir uns jedoch alle einig und das war, dass auch diese Seminarwoche wieder viel zu schnell vorbeigegangen ist und wir uns definitv darauf freuen, uns im September für das Rückkehrseminar in Deutschland wiederzusehen.
Während des Seminars hatten wir nicht nur Zeit, uns auszutauschen, sonder auch Moldawien etwas zu entdecken. Zwei Tage waren wir in Chisinau und an einem weiteren bei einem Höhlenkloster (anscheinend die größte Touristenattraktion Moldawiens) und in einem typisch moldawischen Dorf.

Vor allem in Chisinau sind die Unterschiede zu Armenien und die Nähe Moldawiens zur EU und Europa generell aufgefallen. Die Straßen waren modern und ausgebaut, es gab vernünftige Bürgersteige und die Stadt war nicht mit typisch sowjetischen Plattenbauten und roten Sandsteingebäuden übersät. Außerdem sah man vor jedem wichtigen Gebäude neben der moldawischen auch die EU-Flagge wehen. Im Großen und Ganzen hätte Chisinau auch eine westeuropäische Großstadt sein können. Ich war wirklich überrascht von der modernen Infrastruktur und zeitgleich echt glücklich darüber, einen Eindruck von der Stadt und dem ganzen Land zu bekommen, denn wie bereits gesagt ist Moldawien nicht unbedingt das Land, das auf einer must-visit-Liste unter den ersten Plätzen zu finden ist.
Da ich sowieso bereits in der Nähe war, wollte ich auf meiner Rückreise einen weiteren Abstecher in die Ukraine machen und bin somit einen Tag nach dem Seminar nach Odessa, eine Stadt am Schwarzen Meer, gefahren. Da alle anderen Freiwilligen andere Pläne hatten, habe ich einen Tag alleine dort verbracht, was aber auch ohne Russisch- oder Ukrainischkenntnisse kein Problem war. 
Odessa ist eine ziemlich touristische Stadt, daher waren alle Schilder und Beschriftungen auch auf Englisch zu finden und ich konnte mich auf Englisch mit den Menschen vor Ort unterhalten. 

Odessa ist eine super schöne Stadt mit einem historischen Stadtkern, zahlreichen Kirchen und natürlich einem Strand. Ich hatte mir vorher keinen wirklichen Plan gemacht, wo ich denn überhaupt hinwollte und habe mich somit den Tag über einfach durch die Stadt treiben lassen. Dies und einen Trip nach Odessa kann ich jedem nur empfehlen, die Stadt ist wirklich sehenswert – vielleicht aber eher im Sommer, denn durch die Lage am Meer war es schon ziemlich windig und kalt.
Nach meinem Tagestrip nach Odessa bin ich dann – wieder mit einem Nachtbus – nach Kiev gefahren, wo ich mit einigen meiner Mitfreiwilligen noch zwei weitere Tage verbracht habe. Kiev ist eine super beeindruckende Stadt – einmal, weil sie einfach riesig ist, vor allem aber, weil sie komplett anders war als jede andere Stadt, in der ich bisher war. Egal, wohin man geschaut hat, man hat immer zwei Sachen gesehen: riesige Plattenbauten in allen möglichen Variationen und die blau-gelben Farben der ukrainischen Flagge ebenfalls in jeglichen Variationen. Hinzu kommen Panzer, Portraits an Häuserwänden oder Gedenkstätten für Gefallene, die alle an die ukrainische Revolution und den (immer noch andauernden) Konflikt mit Russland erinnern. 

Die ganze Stadt ist einfach extrem kontrovers. Es stehen imposante Kirchen und Klöster mit goldenen Kuppeln und Zwiebeltürmen neben grauen, halb verfallenen Plattenbauten und modernen Einkaufshäusern und obwohl die Stadt überfüllt ist mit Menschen, fühlt man sich beim Anblick der Überreste und Erinnerungen an die Revolution verloren und allein. 

Vor allem auf dem Maidan zu stehen, war für mich ein ganz merkwürdiges Gefühl. Ich kannte diesen Platz ja bisher nur aus den Medien, zerstört, in Flammen, voller aufgebrachter Menschen und tragischen Schicksalen, aber ein paar Jahre später ist davon nichts mehr zu merken. Die umstehenden Gebäude wurden wiederaufgebaut, die Straßen repariert und alle anderen Spuren der Revolution verwischt. Und dennoch sind die Ereignisse der Vergangenheit stets präsent. Ich kann nicht wirklich in Worte fassen, was ich in der Zeit in Kiev gedacht oder gefühlt habe, aber auch dies ist eine Stadt, die ich auf jeden Fall einen Besuch wert ist.
Nach den insgesamt zwei Wochen, die ich letztendlich unterwegs war und auch wirklich genossen habe, war es dennoch ein total tolles Gefühl, nach Armenien und Yerevan zurückzukehren. Allein am Flughafen anzukommen und endlich wieder vertraute Buchstaben zu lesen und eine vertraute Sprache zu hören und zu sprechen, war super schön. Den ganzen Weg vom Flughafen zum Dorm konnte ich nicht aufhören zu lächeln und als ich durch die Eingangstür getreten und durch den Flur zu meinem Zimmer gelaufen bin, habe ich erst realisiert, wie sehr mir dieser Ort in den zwei Wochen gefehlt hatte – mein Zuhause.
Viele liebe Grüße aus Armenien und arrayzhm,

Inken Wilms
Share by: