Detail_1912

Weihnachten in Armenien: "Heiligabend international" ... und das Warten auf den 6. Januar

Yerevan, Dezember 2019 - Inken Wilms
Weihnachten fernab von der Familie in einem fremden Land zu verbringen, klingt für viele Menschen wie eine Herausforderung und undenkbar. Für mich ist es eher eine Möglichkeit, tiefer in die Kultur eines Landes einzutauchen, die eigenen, weihnachtlichen Traditionen weiterzugeben und die Weihnachtszeit einfach mal etwas anders zu genießen. So war es auch dieses Jahr der Fall, als ich mich dazu entschlossen habe, über Weihnachten nicht nach Hause zu fliegen, sondern die Zeit in Armenien mit meinen Mitfreiwilligen zu verbringen.
Aber alles der Reihe nach. Der Dezember war alles in allem ein sehr viel ruhigerer Monat als die vorigen. Da das Wetter stetig kälter wurde und die Böden angefangen haben, zu gefrieren, standen im Dezember keine Pflanzungen mehr an und ich habe somit die meiste Arbeitszeit im Büro verbracht.

Da ich immer noch einige Projekte und Aufgaben zu beenden hatte, wurde es definitiv nicht langweilig. Zusätzlich zu den Plakaten mit generellen Informationen zu Umweltverschmutzung und Naturschutz, an denen ich momentan arbeite, sollte nämlich noch ein Plakat nur zum Thema Wasser erstellt werden. Hierfür habe ich kurze, informative Texte formuliert (beispielsweise, dass die Erde zwar zu zwei Dritteln mit Wasser bedeckt, davon jedoch nur 2,5% Süßwasser und davon wiederum nur 0,3% für uns verfügbar ist. Der Rest ist in Gletschern und auf Bergspitzen und daher für uns nicht zugänglich) und habe diese meinen Kollegen vorgestellt. Ich bin sehr stolz, dass sich auch einige dieser Nachrichten auf dem fertigen Plakat befinden.  Dieses ist zwar in Armenisch, wird aber nächstes Jahr auch komplett in Englisch erstellt und an amerikanische Partnerschulen geschickt. Es dient dazu, Schülern die Wichtigkeit und Vielseitigkeit von Wasser vor Augen zu führen und dazu aufzurufen, nicht verschwenderisch mit Wasser umzugehen.
Fotos (auf dieser Seite): Inken Wilms
Ansonsten war ich den ganzen Monat sehr viel damit beschäftigt, die komplette Weihnachtsdekoration für das ATP-Büro zu erstellen. Als Organisation, die Bäume pflanzt und Baumschulen betreibt, ist es natürlich sehr einfach, Bastelmaterialien wie Tannenzweige oder –zapfen bereitzustellen. Einzig und allein einen ganzen Weihnachtsbaum gab es nicht, da dies gegen die Prinzipien von ATP verstoßen würde - einen kerngesunden Baum ohne triftigen Grund zu fällen. Deshalb wurde ein Ersatzweihnachtsbaum aus recycletem Holz gebaut, dekoriert und in das Schaufenster des Büros gestellt. ATP legt wirklich großen Wert darauf, so viele Dinge wie möglich zu recyclen und unnötigen Konsum zu vermeiden. Somit wurde aus dem Weihachtswichteln mit allen Kollegen Schrottwichteln (jeder verschenkt nur etwas, was er schon besitzt) und alle Geschenke in Zeitungspapier eingewickelt.
Die Weihnachtsfeier, auf der diese Wichtelgeschenke verteilt wurden, war ein absolutes Highlight für mich und sehr typisch armenisch und daher einen eigenen Abschnitt wert. Die Feier – ein großes Abendessen am letzten Arbeitstag – hat schon sehr armenisch angefangen, nämlich damit, dass jeder zu spät kam. 

Ich bin ja nun schon einige Zeit hier und habe so langsam den Dreh raus, was die Pünktlichkeit betrifft und bin daher selber erst eine Viertelstunde nach dem eigentlichen Beginn im Restaurant eingetroffen. Dennoch war ich eine der Ersten. Als wir nach einer Dreiviertelstude noch immer nicht vollständig waren, beschloss mein Chef jedoch, bereits mit dem Essen zu beginnen. Da gab es dann auch schon den ersten Trinkspruch, gefolgt von einem Wodkashot oder einem Schluck Wein. Andere Getränke gab es eigentlich nicht an diesem Abend. Dies sind vermutlich auch die beiden wichtigsten Getränke für Armenier und unter anderem Hauptimport- und exportgut. Bei einem typisch armenischen Essen bleibt es jedoch nicht nur bei einem Trinkspruch und so wurden alle fünf bis zehn Minuten erneut die Gläser gehoben. Die Trinksprüche richteten sich jedes Mal an etwas oder jemand anderen und so tranken wir den Abend über auf das Team von ATP, den 6.000.000. Baum, der dieses Jahr gepflanzt wurde, die obersten Chefs von ATP aus Amerika, alle jungen Leute, Frauen aus Yerevan, Soldaten (sogar mehrfach) und den Premierminister, um nur einige Beispiele zu nennen. 
Völlig unerwartet bekam auch ich meinen persönlichen Trinkspruch. Obwohl ich erst seit 4 Monaten bei ATP bin, fühle ich mich wirklich sehr integriert und mit meinen Kollegen verbunden und die Weihnachtsfeier gab mir die Bestätigung, dass dieses Gefühl beidseitig ist. Mein Chef dankte mir für meine Arbeit und die vielseitige Unterstützung, lobte meinen Mut, mit 18 Jahren für ein Jahr in ein fremdes Land zu gehen und erwähnte ganz nebenbei noch, dass Grundstücke in Armenien sehr günstig seien und ich dies doch bitte meinen Eltern ausrichten soll, damit ich für eine längere Zeit bleiben kann. Das war wirklich ein sehr schöner und besonderer Moment für mich und hat mir nochmal vor Augen geführt, wie großartig mein Projekt ist und dass ich jeden Grund haben kann, mich dort pudelwohl zu fühlen.

Ein weiteres Highlight des Abends kam dann zu späterer Stunde, als alle mit dem Essen fertig waren und die Musik aufgedreht wurde. Zu tanzen ist auch ein essenzieller Bestandteil einer jeden armenischen Feier und es wird keine Rücksicht darauf genommen, ob man tanzen kann oder nicht. Armenische Tänze sind standardmäßig keine Paar-, sondern entweder Einzel- oder Kreistänze und involvieren sehr viel Armbewegungen und Herumgehüpfe. Ich kann das leider nicht gut beschreiben und würde daher jedem ans Herz legen, sich einmal ein Video von armenischen Tänzen anzuschauen. In diesen Momenten findet man auch wirklich jeden auf der Tanzfläche, egal ob jung oder alt. Das Team von ATP ist wirklich sehr gemischt, was das Alter angeht, von mir als jüngste Person bis hin zu Leuten, die nächstes Jahr in Rente gehen, ist alles dabei. Davon merkt man beim Tanzen jedoch nichts und das ist eine weitere Sache, die mir wirklich sehr gut gefällt. Armenier sind einfach unfassbar offen und haben gerne ihren Spaß und das zeigt sich in solchen Momenten besonders. Die Weihnachtsfeier war somit ein perfekter Abschluss für die Arbeit dieses Jahr und ich freue mich wirklich schon auf das nächste Jahr und darauf, meine Kollegen wiederzusehen.
Ich habe Weihnachten jedoch nicht nur mit meinen Kollegen, sondern auch im Wohnheim mit den anderen Freiwilligen gefeiert. An Heiligabend haben wir über 20 Leute zusammengetrommelt, ganz viel Essen vorbereitet und gemeinsam einen super schönen Abend verbracht. Obwohl es für die meisten das erste Weihnachten ohne die Familie und weg von Zuhause war, war Heimweh ein Fremdwort an diesem Abend. Das lag unter anderem bestimmt an den zahlreichen, wild blinkenden Lichterketten, die wir über den ganzen Flur gespannt hatten (Zitat einer Mitfreiwilligen: "Das sieht ja aus wie ein amerikanischer Vorgarten hier") , dem bunt gemixten Weihnachtsessen, das Nationalspeisen aus sieben verschiedenen Ländern beinhaltete und der langen Tafel, die wir aus Platzgründen nicht in der Küche sondern im Flur aufbauen mussten und die mit zusammengewürfeltem Besteck in mindestens zehn verschiedenen Farben und Mustern gedeckt war.
Dies alles trug zu einem unvergesslichen Flair und Abend bei und obwohl es ganz und gar untypisch war, war es eines der besten Weihnachtsfeste für mich. So kitschig es auch klingt, aber meine Mitbewohner/Mitfreiwilligen sind hier wirklich zu meiner zweiten Familie geworden und ich bin super glücklich, sie alle kennen gelernt zu haben. 
Vorallem in der Weihnachtszeit wird einem sehr bewusst, wofür man alles dankbar sein kann und das wollte ich auf jedem Fall auch in diesem Blogeintrag, der dieses Mal etwas kürzer und etwas anders ist, erwähnen.  

Ein herzliches Dankeschön an alle und jeden, der mich bei meinem Freiwilligendienst mental oder materiell unterstützt (hat) und es mir somit ermöglicht, hier in Armenien zu sein und all diese Erfahrungen machen zu können. Ich hoffe, alle konnten ein ähnlich schönes Weihnachtsfest wie ich genießen, ein wenig entspannen und Kraft für das neue Jahr tanken und besinnliche Tage mit Familie und Freunden verbringen. Für das neue Jahr wünsche ich alles Gute und einen guten Rutsch und bin sehr gespannt, was mich noch erwarten wird.
Ich freue mich jetzt vor allem darauf, das armenische Weihnachten am 6. Januar zu feiern und werde davon in meinem nächsten Blogeintrag berichten.
 
Herzliche Grüße aus Armenien und arrayzhm!

Inken Wilms

Share by: