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Kulturschock, Herzlichkeit und das Eintauchen in eine (noch) fremde Welt

Yerevan, September 2019 - Inken Wilms
"Warum denn ausgerechnet Armenien?" und "Komm bloß heil wieder!" - Sätze, die ich in den vergangenen Monaten mehr als einmal gehört habe. Dies sind die Reaktionen auf meine Antwort zur häufig gestellten Frage, wie es denn jetzt für mich nach der Schule weitergeht. 

Nachdem ich bereits im Jahr 2016 ein halbes Jahr in einer irischen Gastfamilie und an einer irischen High School verbracht und mich sofort in das Land, aber auch das Abenteuer der Fremde verliebt habe, war für mich sehr schnell klar, dass es auch nach der Schule noch ein weiteres Mal ins Ausland geht. Mangels fehlender Motivation, mich nach meinem Abitur direkt wieder in ein Lernchaos entweder an der Uni oder Berufsschule zu stürzen und vor allem aufgrund fehlender Ideen für eine Berufswahl habe ich mich dazu entschlossen, meine Zeit nach der Schule sinnvoll zu nutzen und einen Freiwilligendienst anzutreten. Dass dieser im Ausland stattfinden würde, stand ja bereits außer Frage. Schnell kristallisierten sich 'typische' Länder für einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst - Südafrika, Costa Rica oder die Philippinen - als mein zukünftiges Gastland heraus, Armenien zieht man da eher nicht in Erwägung. Durch wochenlange Recherchen über mögliche Projekte stieß ich schließlich auf der Website der Freiwilligendienstorganisation 'weltwaerts' auf eine sehr vielversprechende Einsatzstelle -das Armenia Tree Project (ATP), ein Wiederaufforstungsprojekt im Herzen Armeniens. Ohne große Hoffnungen auf eine Zusage - schließlich habe ich tatsächlich in meinem ganzen Leben noch keinen einzigen Baum gepflanzt - bewarb ich mich bei den Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten (ijgd), der deutschen Entsendeorganisation, 'auf gut Glück'. Nach einigen Interviews mit deutschen und armenischen Ansprechpartnern bekam ich dann doch tatsächlich die besagte Zusage. Und so begann dann für mich das Abenteuer 'ein Jahr Freiwilligenarbeit in Armenien'.
Fotos (auf dieser Seite): Inken Wilms
Inzwischen bin ich bereits seit 4 Wochen hier in Yerevan und kann sagen, ich fühle mich pudelwohl. Trotz einiger kleiner Kulturschocks, wie den völlig chaotischen Verkehr und den immensen Verbrauch an Plastiktüten, habe ich mich schon gut in dem doch ganz schön fremden Land eingelebt. Dies hat man vor allem der unfassbar großen Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Armenier zu verdanken. Es kommt nicht selten vor, dass man mit wildfremden Menschen, die man gerade im Bus getroffen hat, den Abend verbringt oder zum Kaffee eingeladen wird. Auch wenn die Leute hier selber nicht viel haben, wird einem alles angeboten, was nur da ist, von frischem, selbstangebautem Obst und Gemüse bis hin zu jeglichem Kuchen oder Süßigkeiten oder natürlich dem berühmt-berüchtigten Kulturbrot Lavash. 

Auf meiner Arbeit ist das nicht anders. Noch so oft kann ich meinen Kollegen erklären, dass ich mein eigenes Mittagessen mitgebracht habe, ohne nicht mindestens eine neue typisch armenische Köstlichkeit probiert zu haben, kehre ich nicht aus der Mittagspause zurück. Meine Arbeit ist aber generell super und definitiv die richtige Entscheidung gewesen. ATP ist eine gemeinnützige Organisation, die im Jahr 1994 gegründet wurde und somit dieses Jahr ihr 25-jähriges Bestehen feiert. Der Grund für den Aufbau der Organisation war der radikale Verlust an Wäldern aufgrund fehlender Alternativen zu Holz, Häuser im Winter zu heizen. Zu Anfangszeiten lag der Fokus des Projektes vor allem auf der Wiederaufforstung armenischer Wälder sowie dem Schutz der Umwelt und einzigartigen Natur. Zudem wurde und wird viel Wert auf die Verbesserung der Lebensstandards der armenischen Bevölkerung durch Hilfe zur Selbsthilfe gelegt. 

Vor einigen Jahren wurde zusätzlich eine Abteilung für ökologische Bildung aufgebaut. Eine weitere Mission von ATP ist nämlich die Sensibilisierung der Bevölkerung zum Thema Umweltschutz und Ressourcenschonung. Um diese Idee bereits von klein auf zu vermitteln organisiert die sogenannte EE(Environmental Education)-Abteilung Workshops und Aktionen wie Pflanzungen oder Touren durch Baumschulen für Schulen und Kindergärten. So lernen die Kinder schon in jungen Jahren über die Wichtigkeit von Naturschutz und wachsen auf mit dem Bewusstsein für ihre Umwelt.

In dieser Abteilung bin ich momentan beschäftigt, da die richtige Pflanzsaison für die Bäume erst im nächsten Frühjahr wieder beginnt. Zur Eingewöhnung und Einführung in das Projekt wurde ich zunächst mit kleinen Aufgaben wie der Organisation von Kennenlernspielen für Workshops oder dem Korrekturlesen verschiedener Publikationen (in Englisch) betraut. In naher Zukunft werde ich aber selber bereits zu einigen Workshops mitfahren und die Ausbilder vor Ort unterstützen, soweit wie meine Sprachkenntnisse es zulassen. Außerdem werde ich regelmäßig mitgenommen, um in Baumschulen oder öffentlichen Veranstaltungen Fotos für die Homepage von ATP zu machen. Dies ist ein sehr guter Weg, um in Armenien herumzukommen und die unfassbar vielseitige Natur des Landes zu entdecken. 
Tagtäglich (außer am Wochenende natürlich) mit einer sogenannten Mashrutka zum Büro von ATP zu fahren, ist schon zu meinem Alltag und völlig normal geworden. Ich verlasse das Wohnheim, mein Zuhause für die nächsten 11 Monate, um halb 9 morgens und kehre in der Regel gegen 6 Uhr zurück. In besagtem Wohnheim lebe ich momentan mit weiteren Freiwilligen aus Deutschland, Frankreich, Estland und Spanien sowie iranischen Studenten zusammen. So einfach, wie 'armenisches Studentenwohnheim' klingt, ist es auch. Wir teilen uns mit 19 Leuten eine Küche, sechs Toiletten, vier Duschen und zu zweit ein Zimmer. Obwohl dies komplett andere Standards im Vergleich zu meinem bisherigen Leben in Deutschland sind, nenne ich unser Dormitory bereits liebevoll 'zuhause'. Meine Mitbewohner sind alle sehr nett und unkompliziert und haben mir den Einstieg in das Leben hier wirklich vereinfacht. 
Die deutschen Freiwilligen kannte ich bereits vor meiner Ausreise, da wir alle über die ijgd nach Armenien gereist sind und uns einige Wochen vor der Ausreise bei einem Vorbereitungsseminar kennen gelernt haben. Die ijgd organisieren zwar unsere Reise und kümmern sich um die Versicherung sowie alle bürokratischen Vorgänge, finanziert wird der Freiwilligendienst jedoch größtenteils vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BmZ). Um die restlichen Kosten zu decken, ist jeder Freiwillige darauf angewiesen, einen sogenannten Förderkreis zu erstellen, der aus Privatpersonen oder Firmen besteht, die bereit sind, das entwicklungspolitische Engagement der Freiwilligen finanziell zu unterstützen. 
In diesem Zuge habe ich auch Frau und Herrn Haas kennen gelernt, die so großzügig sind und meine Reise monatlich über ihre Stiftung fördern. Ich bin ihnen sehr dankbar, dass sie so meine Reise ermöglichen und halte die beiden, aber auch Sie als Umweltschutzinteressierte gerne monatlich auf dem Laufenden. Ich bin mir sicher, dass ich viele beeindruckende Dinge erleben und wichtige Erfahrungen machen werde und freue mich darauf, diese Eindrücke mit interessierten Menschen zu teilen. 

Sollten Sie irgendwelche Fragen haben, zögern Sie bitte nicht, mich zu kontaktieren. Ich bin per Mail (inken-2001@gmx.de) am besten zu erreichen.
 
Ganz herzliche Grüße aus Armenien und arrayzhm (bis bald)!

Inken Wilms
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